Ziel einer guten Pflege ist es, Autonomie und Unabhängigkeit der Pflegebedürftigen bestmöglich zu erhalten. Dies gelingt, indem wir die uns anvertrauten Menschen mobilisieren und ihre eigenen Potentiale so lange wie möglich erschließen. So fördern wir ihre Lebensqualität und Gesundheit und reduzieren das Risiko der Immobilität und deren Folgeerkrankungen.
"Gleichzeitig ist es für die Versorgung von Pflegebedürftigen ganz wesentlich, dass die Pflegekräfte selbst gesund bleiben und mit ihrer Arbeit zufrieden sind", so Andreas Hoffmann, Vorstand der Caritas Konstanz. "Die Attraktivität der Pflegeberufe ist angesichts des dramatischen Fachkräftemangels ein entscheidender Faktor für eine gute Pflege."
Beide Aspekte - die bestmögliche Mobilität und Unabhängigkeit der Pflegebedürftigen sowie die Gesundheit und Jobzufriedenheit der Pflegekräfte - sind Ausgangspunkte des neuen Modellprojekts der AOK Baden-Württemberg und der Caritas Konstanz: Die Kinästhetik ist ein Bewegungs- und Mobilisierungskonzept, das den Pflegebedürftigen mit seinen Möglichkeiten und Bedürfnissen in den Blick nimmt und bei erfolgreicher Anwendung wesentliche Bewegungspotentiale wieder erschließt (zum Beispiel das eigenständige Essen und trinken). Die Abhängigkeit der pflegebedürftigen Menschen verringert sich, sie erfahren Selbstwirksamkeit und soziale Teilhabe. Und auch die Angehörigen erleben positive Veränderungen ihrer Nahestehenden.
Dauerhafte Einbindung in die Arbeitsprozesse aller Mitarbeitenden
Die wiedererlangten Bewegungsfähigkeiten der Pflegebedürftigen erleichtern wiederum die Arbeit der Pflegekräfte: Die berufsbedingten körperlichen und psychischen Belastungen nehmen ab. Obwohl die Kinästhetik in der Pflege seit Jahren bekannt ist, wurde sie bislang eher als "Rückenschule" für die Pflegekräfte verstanden. Es wurden häufig Kurse angeboten, deren Wirkung jedoch nach einiger Zeit in der Praxis des Alltags wieder in Vergessenheit geraten ist.
Die Caritas Konstanz geht nun für ihre kompletten Pflegeeinrichtungen inklusive der ambulanten Pflege einen neuen Weg und wird innerhalb der nächsten beiden Jahre alle Mitarbeitenden - vom Azubis über die Pflegekräfte bis zu den Hauswirtschafts- und Verwaltungskräften - mit eigenen Trainerinnen und externer Unterstützung weiterbilden. Ziel des Modellprojekts ist es, dass alle Mitarbeitenden in der Lage sind, über den bewussten Einsatz ihrer eigenen Bewegung, die Mobilität ihres Gegenübers positiv zu beeinflussen. Sie selbst bewegen sich gesund.
Die flächendeckende Einführung der Kinästhetik bei der Caritas Altenhilfe übernimmt Carmen Steinmetz-Ehrt mit ihrem Team von der Kinaesthetics-mlh GmbH Starzach. Die ausgebildeten Kräfte werden nach dem Qualifizierungsprozess dauerhaft und direkt in ihrer praktischen Arbeit begleitet. So gehen die neu gewonnene Bewegungsempfindung und Bewegungskompetenz in den Pflegealltag über und werden zur Selbstverständlichkeit.
Unterstützung durch die AOK Baden-Württemberg
Möglich wird dieses für Pflegebedürftige und Pflegeberufe einmalige Projekt durch die Unterstützung der AOK Baden-Württemberg. "Die AOK hat die Chancen dieses nachhaltig angelegten Projekts erkannt und will die dort gewonnenen Erfahrungen zusammen mit der Caritas reflektieren", erklärt Uwe Daltoe, stellvertretender Geschäftsführer der AOK-Bezirksdirektion Hochrhein-Bodensee.
Wissenschaftliche Begleitung durch die Universität Konstanz
Die wissenschaftliche Begleitung übernimmt die Universität Konstanz. "Die Zusammenarbeit mit der Caritas ermöglicht uns, die Wirkung der gesundheitsförderlichen Maßnahmen des Kinästhetik-Modellprojekts erstmals direkt im Arbeitsalltag der Pflegekräfte zu untersuchen. Neben der Analyse von Gesundheitsdaten nutzen wir hierfür Befragungen, die wir direkt im Arbeitsalltag per Smartphone (e-diary) durchführen", erklärt Prof. Dr. Martina Kanning, Professorin für Social and Health Sciences an der Universität Konstanz. "Uns ist wichtig, neben den kurz- und langfristigen Wirkungen der Interventionsmaßnahmen auf die Gesundheit der Pflegekräfte sowie der Patientinnen und Patienten auch die organisatorische Einbettung der Maßnahmen in die Strukturen der Caritas in den Blick zu nehmen", so Kanning. Das Projekt beinhaltet auch zwei follow-up Befragungen in jeweils halbjährigem Abstand, um die langfristigen Wirkungen der Kinästhetik auf die Lebens- und Arbeitsqualität sowie die Gesundheitsentwicklung der Teilnehmenden zu untersuchen.